Aktua­li­siert am 10. November 2023

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Mahn­wache 8.11.2023,

Rede­beitrag von Sigi Czyrt:

Ange­sichts des Krieges im Nahen Osten,
ange­sichts des Krieges Israels gegen die Hamas im Gaza­streifen,
ange­sicht von 1.400 toten Israelis durch den bru­talen Angriff der Hamas am 7.10. 2023 und infol­ge­dessen von mitt­ler­weile 10.000 toten Paläs­ti­nensern, dar­unter 5.000 Kindern durch den Ver­nich­tungs­feldzug der israe­li­schen Armee
möchte ich heute mit etwas Per­sön­lichem beginnen.
Ich wurde 1955 geboren, 10 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges,

10 Jahre nach der Befreiung vom Hit­ler­fa­schismus durch die sowje­tische Armee und 10 Jahre nach dem Ende des Holocaust.10 Jahre später – 1965 – schickten meine Eltern mich zum Judo, damit ich mich selbst ver­tei­di­gen­könnte, wenn ich ange­griffen würde. Wer oder was sollte mich angreifen; ich wusste es nicht, es
wurde nicht darüber gesprochen. Beim Judo traf ich Jaffi, ein 10-​jähriges jüdi­sches Mädchen mit so schönen langen, dunklen Haaren. Wir trai­nierten zusammen, sie wolle mit ihren Eltern nach Israel aus­wandern, nach Tel Aviv. Etwas Dunkles spürte ich um sie herum; was war das? Wir schafften
zusammen den gelben Gürtel und später den oran­genen. Wir ver­loren uns aus den Augen. 

Ein Jahr später als ich, 1956, wurde in Jeru­salem Amira Hass geboren, heute Jour­na­listin bei der libe­ralen israe­li­schen Tages­zeitung Haaretz. Sie wandte sich am 16.10.2023 in einem Artikel an Bun­des­kanzler Olaf Scholz:
Bun­des­kanzler Olaf Scholz sagte am ver­gan­genen Don­nerstag, dass »das Leid und die Not der Zivil­be­völ­kerung im Gaza­streifen nur noch zunehmen werden. Dafür ist auch die Hamas verantwortlich.« (…) 

Sie sagten auch: »Unsere eigene Geschichte, unsere Ver­ant­wortung, die aus
dem Holo­caust erwächst, macht es zu einer immer­wäh­renden Aufgabe für uns, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzutreten.« 

"Aber, Herr Scholz, zwi­schen diesem Satz und dem oben zitierten gibt es einen Wider­spruch. »Das Leiden … wird nur zunehmen« ist ein Blan­ko­scheck
für ein ver­wun­detes, ver­letztes Israel, um hem­mungslos zu pul­ve­ri­sieren, zuzer­stören und zu töten, und ris­kiert, uns alle in einen regio­nalen Krieg, wenn nicht sogar in einen dritten Welt­krieg zu ver­wi­ckeln, der auch Israels Sicherheit und Existenz gefährden würde. Aber »Ver­ant­wortung aus dem Holo­caust« bedeutet, alles zu tun, um einen Krieg zu ver­hindern, der zu Kata­strophen führt, die wie­derum zu Kriegen führen, die das Leid in einem end­losen Kreislauf ver­größern. Ich habe dies von meinem Vater gelernt, einem Über­le­benden der deut­schen Vieh­waggons. Schon 1992 sagte er mir jedes Mal, wenn ich aus dem Gaza­streifen mit Berichten über die Unter­drü­ckung der Bewohner durch Israel zurückkam: »Es ist zwar kein Völ­kermord, wie wir ihn erlebt haben, aber
für uns war er nach fünf oder sechs Jahren beendet. Für die Paläs­ti­nenser geht das Leiden weiter und weiter, seit Jahr­zehnten.« Es ist eine andau­ernde Nakba.
Ihr Deut­schen habt eure Ver­ant­wortung, die »aus dem Holo­caust« – also aus der Ermordung u. a. der Familien meiner Eltern und dem Leid der Über­le­benden – erwächst, längst ver­raten. Ihr habt sie ver­raten durch eure vor­be­haltlose Unter­stützung eines Israels, das besetzt, kolo­ni­siert, den Menschen das Wasser weg­nimmt, Land stiehlt, zwei Mil­lionen Menschen im Gaza­streifen in einem
über­füllten Käfig gefan­genhält, Häuser abreißt, ganze Gemeinden aus ihren Häusern ver­treibt und die Gewalt der Siedler fördert. (…)
Nein, diese Kolumne ist keine Recht­fer­tigung für die Mord­orgie und den Sadismus, den die bewaff­neten Männer der Hamas verübt haben. (…) Vielmehr ist es ein Aufruf an Sie, die, gegen­wärtige Kam­pagne des Todes und der Zer­störung zu stoppen, bevor sie eine weitere Kata­strophe über Mil­lionen von Israelis, Paläs­ti­nensern, Liba­nesen und viel­leicht sogar Bewohnern
anderer Länder in der Region bringt."


Danke Amira, und grüß bitte Jaffi, ….wenn du ihr begegnest …

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