2020 – Unfriedlicher Start

Portraitfoto Jens Berger, Redakteur der NachDenkSeiten

Aktua­li­siert am 6. März 2022

Mit dem Attentat auf den iranischen General Ghassem Soleimani hat US-​Präsident Trump eine rote Linie überschritten!

Der nach­fol­gende Text wurde dem Dort­munder Friedens­forum freund­licher Weise von den Nach­Denk­Seiten zur Ver­fügung gestellt!

Im Ori­gi­nal­ar­tikel findest du zusätzlich Quel­len­ver­weise. Jens Bergers Gedan­ken­gängen sind dort auch als Podcast zur Verfügung!

Trump will Krieg

Ein Artikel von Jens Berger
3. Januar 2020

Wer gehofft hat, dass 2020 ein fried­liches Jahr werden würde, muss diese Hoffnung leider bereits kurz nach Jah­res­beginn beer­digen. Mit dem von Prä­sident Trump befoh­lenen Attentat auf den berühm­testen iranischen General und mehrere ranghohe ira­kische Militärs nahe dem Flug­hafen der irakischen Haupt­stadt Bagdad haben die USA eine rote Linie über­schritten. Beob­achter werten den Anschlag als Kriegs­er­klärung gegen Iran. Was muss noch pas­sieren, bis Europa auf­wacht und sich von der kriegerischen US-​Politik distanziert?

Jens Berger

Stellen Sie sich einmal fol­gendes Sze­nario vor: Der Chef des US-​Generalstabs Mike Milley trifft zu einem infor­mellen Besuch in Kiew ein und Wla­dimir Putin befiehlt den rus­si­schen Streit­kräften, die Wagen­ko­lonne, in der Milley von rang­hohen ukrai­ni­schen Militärs vom Flug­hafen der Stadt abgeholt wird, mit einem Luft­an­griff zu vernichten. 

Wenige Minuten später postet Putin dann auf Twitter die rus­sische Flagge … ohne wei­teren Kom­mentar. Was würde in einem solchen Fall passieren? 

Im Mor­gen­ma­gazin würden sich deutsche Sicher­heits­po­li­tiker gegen­seitig mit Anschul­di­gungen an die rus­sische Seite über­treffen und diesen offenen Bruch des Völ­ker­rechts voll­kommen zu Recht ver­ur­teilen. Wie die USA diese „Kriegs­er­klärung“ auf­nehmen würden, ist der Phan­tasie der Leser über­lassen. Zum Glück handelt es sich hierbei ja nur um ein hypo­the­ti­sches Szenario.

Der Rake­ten­an­schlag, mit dem die US-​Streitkräfte auf Befehl ihres obersten Befehls­habers heute Nacht den iranischen General Ghassem Soleimani zusammen mit hoch­ran­gigen irakischen Befehls­habern in einer Fahr­zeug­ko­lonne in Bagdad töteten, ist hin­gegen leider sehr real. 

Um die Bedeutung dieses Angriffs zu ver­stehen, lohnt es, sich zu ver­ge­gen­wär­tigen, wer dieser General Soleimani eigentlich war.

Ein Engel war der General mit Sicherheit nicht.

Formell betrachtet war Soleimani der oberste Befehls­haber der „Quds-​Brigaden“, einer von den Medien meist als „Élite“ der iranischen Revo­lu­ti­ons­garden bezeich­neten Einheit. Prä­ziser sind die „Quds-​Brigaden“ eine sehr umstrittene Aus­lands­einheit des iranischen Militärs, die unter anderem in den Kriegen im Libanon, in Syrien und zuletzt auch im Irak aktiv war – in den beiden letzten Kon­flikten kämpften sie haupt­sächlich gegen die radi­kalen sun­ni­ti­schen Streit­kräfte des IS. 

Ein Por­trait der Asia Times beschreibt Soleimani als einen Mann, der von seinen Anhängern dafür gefeiert wurde, den (sun­ni­ti­schen) Isla­misten im Irak und Syrien die Stirn zu bieten und Irans Ein­fluss als Hege­mo­ni­al­macht in der Region zu verteidigen. 

Der ehe­malige CIA-​Analyst Kenneth Pollak beschrieb ihn in seiner Außen­wirkung auf die Schiiten des Mitt­leren Ostens als eine Mischung aus „James Bond, Erwin Rommel und Lady Gaga in einer Person“ – ein mili­tä­ri­scher Popstar, dessen poli­ti­scher Ein­fluss in Teheran offenbar gewaltig war. 

Diese Beschreibung ist mehr als „schmü­ckendes Beiwerk“. Sie soll vielmehr ver­deut­lichen, wie sehr sich die ira­nische Regierung nun gemäß der Eska­la­ti­ons­logik gezwungen sehen wird, „Gleiches“ mit „Gleichem“ zu ver­gelten. Teheran kün­digte bereits „schwere Ver­geltung“ an. 

Es ist zu erwarten, dass der Irak einmal mehr zu einem Schlachtfeld für einen Stell­ver­tre­ter­krieg zwi­schen den USA und Iran wird. Die USA haben ihre Lands­leute bereits auf­ge­fordert, das Land „unver­züglich zu ver­lassen“.

Diese Eska­lation ist von den USA Stück für Stück pro­vo­ziert worden. Am 29. Dezember hatte die US-​Luftwaffe als (Über)Reaktion auf einen Anschlag in Kirkuk, bei dem ein US-​Söldner ums Leben kam, eine groß ange­legte Bom­bar­dierung mili­tä­ri­scher und ziviler Ziele gestartet, die man schii­ti­schen irakischen Milizen zuschrieb. 

Völker­rechtlich mehr als pro­ble­ma­tisch ist jedoch, dass diese Milizen offi­ziell in die irakischen Sicher­heits­kräfte ein­ge­bunden sind, die USA also völker­rechtlich Angriffe auf ira­kische Sicher­heits­kräfte flogen, bei denen mehr als 25 Menschen ums Leben kamen. 

Dies war der Aus­löser von Angriffen eines irakischen „Mobs“ auf die US-​Botschaft und die „Grüne Zone“ in Bagdad – einem schwerstens mili­tä­risch abge­rie­gelten Bezirk in der Größe des Vati­kan­staates im Zentrum Bagdads, in dem de facto die USA und die von der US-​Regierung bezahlten Söldner das Sagen haben. 

Die Aus­schrei­tungen am Rande der „Grünen Zone“, die am Sil­ves­tertag begannen, flachten am gest­rigen Don­nerstag endlich spürbar ab und man wagte bereits zu hoffen, dass die gesamte Sicher­heitslage sich wieder ent­spannen könnte … aber das wollte Donald Trump offenbar auf Teufel komm raus ver­hindern und hat dabei auf maximale Eska­lation gesetzt.

Kri­tische Beob­achter finden dafür klare Worte. So bezeichnet die Al-​Jazeera-​Journalistin Rania Khalek den Anschlag als „Kriegs­er­klärung“. Ihre Kol­legin Sana Saeed findet sogar noch deut­li­chere Worte. 

“Die Trump-​Regierung hat die Region gerade wahr­scheinlich in einen mas­siven blu­tigen Kon­flikt gestürzt – und damit auch dieses Land. Es ist noch schwer, sich die mög­lichen Folgen aus­zu­malen, aber es ist nicht zu igno­rieren, dass der Anschlag auf Soleimani eine explizite Kriegs­handlung darstellt.“ 

Sana Saeed

Erwar­tungs­gemäß ver­halten fällt die Kritik am Attentat in den deut­schen Medien und der deut­schen Politik aus. 

Dass ein Attentat auf einen Regie­rungs­ver­treter auf dem Boden eines dritten Landes ein krie­ge­ri­scher Akt ist, der durch das Völ­ker­recht noch nicht einmal im Ansatz gedeckt ist, findet in der hie­sigen Bericht­erstattung keine Erwähnung. 

Statt­dessen kapri­ziert man sich auf die Person Sol­ei­manis. Doch diese Dis­kussion führt zu nichts. 

Es ist nicht von Interesse, ob Soleimani ein Engel oder ein Teufel war. Wichtig ist die Frage, welche Folgen das von Trump ange­ordnete Attentat hat und wie die US-​Regierung nun auf die zu erwar­tenden Eska­la­tionen seitens Irans und seiner Unter­stützer reagiert.

Wie es scheint, ist Donald Trump dazu bereit, den Mitt­leren Osten mit einem wei­teren Krieg zu über­ziehen. Wahr­scheinlich haben seine Wahl­kampf­ma­nager ihm gesagt, dass dies die Chancen auf eine Wie­derwahl erhöht. 

Wer bislang immer noch der Meinung war, Trump sei – auch im Ver­gleich zu seinen Amts­vor­gängern – ein eher „fried­lie­bender“ US-​Präsident, sollte spä­testens jetzt auf­wachen und Trump als einen wei­teren mili­tä­ri­schen Hasardeur an der Spitze eines kriegerischen Impe­riums sehen, das die USA seit vielen Jahren sind. 

Jens Berger

Jens Berger ist freier Jour­nalist und poli­ti­scher Blogger der ersten Stunde und Redakteur der Nach­Denk­Seiten. Er befasst sich mit und kom­men­tiert sozial‑, wirtschafts- und finanz­po­li­ti­schen Themen. Berger ist Autor meh­rerer Sach­bücher, etwa „Der Kick des Geldes“ (2015) und des Spiegel-​Bestsellers „Wem gehört Deutschland?“ (2014).

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